Niedersächsicher Jäger (1(2007)
Autor: Norbert Klups
Pirschbüchse von Roland Kessler
Schlanke Schönheit im neuen Gewand
Pirschjäger bevorzugen leichte, führige Büchsen, deren Gewicht auch im schwierigen Gelände oder bei stundenlangem Tragen nicht zur Last wird. Schlanke Kipplaufbüchsen oder spezielle Repetierer, sog. Mountain-Rifles, sind hier die beste Wahl.
Das beliebte 98er-System wird für leichte, führige Büchsen kaum eingesetzt, denn es hat von Hause aus zu viel Gewicht und das hoch bauende Abzugssystem lässt keine schnittigen Schäfte zu. Der Büchsenmacher Roland Kessler aus Deggendorf hat diese Probleme jedoch beseitigt und baut seit Jahren eine Pirschbüchse mit 98er-System, die knapp 3,2 kg wiegt und durch eine superschlanke Optik überrascht. Wurden bisher alte DWM-Militärsysteme mühevoll abgedreht, überarbeitet und auf die schlanke Kontur gebracht, kommt die neue "Kesslerin" jetzt mit einem komplett neu gefertigten 98er-System.
98er-System mit verringerten Abmessungen
Das neue Kessler-System ist ein originalgetreuer Nachbau des bewährten 98er-Systems von Mauser, nur wurden hier die Abmessungen erheblich verringert. In zwei Jahren Entwicklungszeit hat Roland Kessler in Zusammenarbeit mit einem CNC-Fertigungsbetrieb das alte Mauser-System auf die neuen Dimensionen gebracht. Hat der Hülsenkopf bei einem Originalsystem einen Durchmesser von 38,5 mm, so misst die "Kesslerin" hier nur 32,5 mm. Das macht sich nicht nur bei den Abmessungen, sondern auch beim Gewicht erheblich bemerkbar. Die Höhe des Magazinkastens wurde durch die Beschränkung auf drei Patronen fast halbiert. Besonders in diesem Bereich ist die Kesslerin daher extrem schlank. Der Abstand von der Oberkante der vorderen Hülsenbrücke bis zur Schaftunterseite misst trotz "Square Bridge" lediglich 55 mm. Um auch beim Magazin noch Gewicht zu sparen, ist der im Schaft liegende Magazinkasten skelettiert. Ein Klappdeckel ermöglicht das Entladen nach unten. Der Entriegelungsknopf für den Magazindeckel sitzt vorn im Abzugsbügel.
Bei einer Neufertigung können natürlich auch gleich die für Jagdbüchsen unerwünschten Elemente des alten Militärsystems eliminiert werden. So gibt es natürlich kein Daumenloch und die Hülsenbrücken wurden als "Double Square-Bridge" aus dem vollen Material herausgearbeitet. Das ermöglicht eine sehr elegante Zielfernrohrmontage.
Die Testwaffe war mit einem Zeiss-Zielfernrohr Victory 2,5-10 x 50 ausgestattet.
Die horizontal arbeitende Dreistellungssicherung hat einen Sperrknopf, der ein unbeabsichtigtes Entsichern verhindert.
Das 14 mm breite Prismenstück für die Hinterfußverriegelung fräst Roland Kessler direkt aus der hinteren Hülsenbrücke und der Drehring für den Vorderfuß wird einfach von oben in die vordere Brücke eingelassen und verschraubt. So muss nichts aufgelötet werden und alles wirkt wie aus einem Guss.
Der lange Mauserauszieher und der Hülsenauswerfer in der hinteren Hülsenbrücke entsprechen dem Original und auch der Kammerhalter sitzt an gewohnter Stelle. Der Kammerstängel fällt im Verhältnis zum zierlichen Verschluss recht lang aus, was aber für eine sichere Handhabung erforderlich ist. Die 21,5 mm dicke Kammerkugel liegt satt in der Hand. Das flache Schlösschen ist mit einer horizontal arbeitenden Dreistellungssicherung mit Verriegelung ausgestattet. Um den Sicherungsflügel aus der hintersten Position zu bewegen, muss erst die Drucktaste seitlich am Schlösschen betätigt werden. So wird ein unbeabsichtigtes Entsichern – eine bekannte Schwachstelle vieler horizontal arbeitender 98er-Sicherungen – sicher vermieden. Das System läuft seidenweich und lässt sich fließend repetieren. Gegenüber den alten Militärsystemen eine spürbare Verbesserung.
Einen der herkömmlichen Abzüge für 98er-Systeme kann Roland Kessler hier natürlich nicht benutzen, dazu reicht der durch den kleinen Magazinkasten beschränkte Platz nicht aus. Der von Kessler speziell für dieses System konstruierte Direktabzug lässt sich von 600-1 200 g individuell einstellen und löst trocken und ohne spürbaren Weg aus. Einstellbar sind Vorzug, Abzugswiderstand und Triggerstopp. Ein Stecher ist hier wirklich überflüssig. Bei der Testwaffe stand der Abzug sogar auf nur 550 g Gewicht. Das Abzugszüngel sitzt ganz hinten am Abzugsbügel und so ist eine Mene Platz vorhanden, um auch mit Handschuhen noch sicher abziehen zu können.
55 cm langer Lauf von Lothar Walther
Die Lauflänge von 55 cm ist ein guter Kompromiss zwischen Führigkeit und Ausnutzung der Patronenleistung. Die Büchse kommt damit auf eine Gesamtlänge von 110 cm. Der Lauf stammt von Lothar Walther und wird dort nach speziellen Vorgaben von Roland Kessler gefertigt. Er hat einen Mündungsdurchmesser von 15 mm. Sicher wäre ein schlanker Lauf möglich und würde auch noch beim Gewicht sparen, aber zu dünne Läufe schießen bekanntlich nicht sehr präzise. Hier macht Kessler keine Kompromisse, denn ohne eine gute Präzision ist die eleganteste Waffe nichts wert.
Schlanker Schaft und ausgesuchte Hölzer
Der vordere Riemenbügel wird mit einem Ring über den Lauf gezogen und hat einen Abstand von 22,5 cm zur Mündung. Damit sitzt er optimal, um die Waffe gut ausbalanciert am Gewehrriemen zu tragen. Der hintere Riemenbügel wird mit zwei Schrauben im Holz des Hinterschaftes befestigt.
Blickfang der "Kesslerin" ist der schlanke, schnittige Schaft mit geradem Rücken und deutscher Backe. der Vorderschaft verjüngt sich stark nach vorn uns endet in einer Schaftnase aus Büffelhorn. Auch das flache Pistolengriffkäppchen besteht aus poliertem Horn. Der Pistolengriff ist flach gehalten und betont noch die gestreckte Linie der eleganten Büchse. Um den Übergang vom filigranen Pistolengriff in den wesentlich breiteren Systembereich optisch gut zu überbrücken, verdickt sich der Schaft mit formschönen Backen im Bereich der hinteren Hülsenbrücke, wie sie an den alten Mauser-Repetierern oft zu finden waren. Vorderschaft und Pistolengriff sind mit feiner Fischhaut verschnitten. Das lässt Kessler außer Haus machen, während die Handschäftung in eigener Werkstatt erfolgt. Die Fischhaut an der Testwaffe war fehlerfrei und hielt auch einer Betrachtung unter der Lupe stand. Abgeschlossen wird der Schaft mit einer dünnen, roten Gummikappe ohne Ventilationsschlitze. Die Holz/Metallpassung der Testwaffe war sorgsam ausgeführt.
Eine Bettung mit Kunstharz gewährleistet den exakten Sitz des Systems. Eine Querstollenverschraubung mit hübsch gravierten und grau gebeizten Deckschrauben sorgt für eine günstigere Übertragung der Rückstoßkräfte. Der Schaft besteht aus honiggelbem, reich gemaserten Nussbaumholz, ist aufwendig poliert und mkt Trueoil auf Hochglanz gebracht. Roland Kessler hat ständig ein Dutzend erstklassiger Schafthölzer in seiner Werkstatt und der Kunde kann sich sein Holz aussuchen.
Die "Kesslerin" entsteht in Einzelanfertigung genau nach Kundenwünschen und die Details werden vom Kunden bestimmt. Eine Fahrt nach Deggendorf lohnt sich also bestimmt, um ein Holz genau nach eigenem Geschmack zu finden.
Offene Visierung und Zielfernrohrmontage
Als offene Visierung besitzt die Büchse ein Standvisier mit hoch gezogenen Seiten und 2,2 mm breiter Rechteckkimme sowie ein dazu passendes Balkenkorn mit Messingauflage. Damit lässt sich sowohl ein präziser Schuss auf größerer Distanz abgeben als auch ein schneller Fangschuss auf kurze Entfernung. Die Kimme ist seitlich in den Schwalbenschwanz des Laufsockels eingeschoben, der genau wie der Kornträger aufgelötet ist. das Kimmenblatt ist in der Mitte mattiert, während die Umrandung poliert wurde.Dies sieht sehr edel aus, ist aber beim Visieren im Anschlag nicht zu erkennen. Alle Metallteile sind sehr gut poliert und tiefschwarz brüniert. Die Waffe spiegelt wie ein schwarzer Diamant. Für den Waffenliebhaber ein toller Anblick, und wer handwerkliche Arbeit einschätzen kann, weiß, wie viele Arbeitsstunden hier investiert wurden.
In der Praxis kann eine solche Oberfläche aber auch zu Problemen führen, weil sie leicht Lichtreflexe auslöst. Bei einer Jagd in heißen Ländern würde ich zumindest die Stellen vor der offenen Visierung mit mattem Tesafilm abkleben, um dies auszuschließen. In der Regel wird eine Büchse dieser Art aber fast ausschließlich über das Zielfernrohr geschossen.
Die Testwaffe war mit einem Victory-Zielfernrohr 2,5-10 x 50 von Zeiss mit Leuchtabsehen ausgestattet. Von den Dimensionen her verträgt sich das kompakte Zielfernrohr noch ganz gut mit der schlanken Waffe und bietet durch den Objektivdurchmesser von 50 mm ausreichend Lichtreserven für alle Gelegenheiten. Die Oberteile der Zielfernrohrmontage stammen von Recknagel. Kessler verwendet hier die Eramatic-Drehringmontage. Beim Test zeigten sich auch nach wiederholtem Abnehmen und Aufsetzen des Zielfernrohres keine Veränderungen in der Treffpunktlage. Die Testwaffe war für das Kaliber 8 x 57 IS eingerichtet. Die Büchse wurde auf die Standardprüfentfernung von 100 m unter Verwendung eines Preuß'schen Schießgestelles geschossen. Zwischen den Schüssen wurden Pausen von jeweils 10 Minuten eingehalten. Ein Schussbild mit der Geco-Laborierung 12,7 g Teilmantel-Rundkopf ergab einen Streukreis von 1,8 cm bei fünf abgegebenen Schüssen. Eine bemerkenswerte gute Schussleistung für den kleinen 98er.
Elegantes Aussehen und praxisgerechte Ausstattung
Trotz der schlanken Schäftung liegt die "Kesslerin" sehr gut im Anschlag und auch "gestandene Männer" können mit dieser zierlichen Büchse gut und sicher umgehen. Die vorgestellte Pirschbüchse von Roland Kessler sieht nicht nur elegant und schnittig aus, sondern ist auch sehr präzise und dazu praxisgerecht ausgestattet. Eine ideale Begleiterin für lange Pirschgänge, bei denen eine leichte Büchse von Vorteil ist. Das neu gefertigte Mauser-System mit dem langen Auszieher kombiniert die Sicherheit des 98ers mit den Vorteilen moderner Materialien und hochpräziser Fertigungsmethoden. Hier klappert nichts mehr und die Kammer läuft wie auf Schienen ohne Ruckeln und Haken. Dazu ein Abzug, der auch verwöhnte Sportschützen tief Luft holen lässt. Drei Patronen im Magazin sind ausreichend und bieten genügend Feuerkraft für eine Jagdwaffe. Der hohe Anteil an Büchsenmacherarbeit und das komplett neu gefertigte System samt Magazinkasten schlagen sich natürlich im Preis nieder: So müssen für die "Kesslerin" 8.450 € auf den Tisch gelegt werden. Dafür erhält der Käufer für sein Geld nicht nur eine praxisgerechte, präzise und wirklich schnittige Jagdwaffe, sondern auch ein Stück guter Büchsenmacherarbeit und – da jede Büchse nach Kundenabsprache gefertigt wird – auch ein Stück Individualität.
Vor dem schlanken Pistolengriff wird der Schaft durch die schön herausgearbeiteten Schaftbacken elegant breiter.
Hinterschaft mit geradem Rücken und deutscher Backe.
Das System ist in Kunststoff gebettet.
Im Vergleich zu einer Büchse mit einem normalen 98er-Standardsystem wird erst deutlich, wie schlank die "Kesslerin" ist. Besonders zeigt sich die superschlanke Optik im Bereich des Pistolengriffes.
Durch die geringe Bauhöhe ist ein flach bauender Abzug notwendig.
Technische Daten und Preise
Hersteller: Roland Kessler
Modell: Kessler Classik
Kaliber: 8x57 IS(alle Standard-Kaliber erhältlich)
Verschluss: Neues 98er-System mit langem Mauser-Auszieher
Magazin: Kastenmagazin für drei Patronen in Zickzacklagerung, Klappdeckel
Abzug: Direktabzug
Abzugswiderstand: 550 g
Sicherung: Seitliche Dreistellungssicherung
Lauf: Lothar Walther
Lauflänge: 55 cm
Visierung: Standvisier mit Rechteck-Kimme, Balkenkorn mit Messingauflage, Visiersockel aufgelötet
Riemenbügel: Vorderer mit Ring über den Lauf gezogen
Schaft: Aus gutem Nussbaumholz in Ölschliffausführung. Gerader Schaftrücken und deutsche Backe. Fischhaut am Pistolengriff und Vorderschaft, Gummischaftkappe
Zielfernrohr: Victory 2,5 – 10 x 50 (mit Leuchtabsehen) von Zeiss
Montage: Eramatic-Schwenkmontage
Gewicht: ohne Zielfernrohr: 3250 g, mit Zielfernrohr: 3950 g
Gesamtlänge: 110 cm
Preis: 8450 €