Bayerisch-steirische Symbiose
Waffe & Schuss
Seinen edlen Leichtrepetierer „Kesslerin“auf 98er-Basis fertigt Roland Kessler nun auch mit original Mannlicher Schönauer GK-System.
Kommt die Sprache auf elegante, schlanke Repetierbüchsen, so fällt zumindest bei Waffenkennern und älteren Jägern stets sofort auch der Name „Mannlicher Schönauer“. Besonders der Stutzen in der alten Ausführung GK (= Gewehrkurz) mit fest eingebautem Trommelmagazin und hinten offener Hülsenbrücke bleibt für viele konservative Waffenliebhaber der Inbegriff des führigen Repetierers. Fachsimpelt man weiter, so kommt mit Sicherheit auch Büchsenmachermeister Roland Kessler (Deggendorf) ins Gespräch, der 98er Repetierer in extrem schlanker Bauweise fertigt (s. PIRSCH 2/ 2003, 5/ 2008).
Am GK-System wurde fast nichts verändert. Aber die Bauhöhe des Magazins wurde reduziert.
Seine „Kesslerin“ hat zwar nur drei Patronen im Magazin, ist aber so elegant wie eine Kipplaufbüchse. Da lag der Gedanke nahe, diese beiden schlanken Schönheiten zu verbinden und einen Mannlicher Schönauer GK-Stutzen in der noch flacheren Kessler-Bauweise zu fertigen. Genau das hat Roland Kessler jetzt gemacht. Das Ergebnis ist ein Schönauer-Stutzen mit noch schlankerer Taille. Der Kessler-Stutzen ist im Bereich des Magazins nur noch 48 Millimeter hoch, das ist extrem niedrig, aber auch seitlich wurde abgespeckt.
Roland Kessler hat hier wirklich gezaubert: Der Mannlicher-Stutzen besitzt schließlich kein Kastenmagazin wie ein 98er, das relativ leicht zu kürzen ist, sondern ein Trommelmagazin, in dem die Patronen kreisförmig angeordnet sind. „Einfach unten absägen“ geht da also nicht. Roland Kessler hat das Magazin – immer noch ein Trommelmagazin – folglich aufwendig modifiziert. Es fasst trotzdem immerhin noch drei Patronen. Wird die Taste im Auswurffenster gedrückt, spuckt das Magazin die Patronen nach alter Mannlicher-Manier aus. Der flache Kammerstängel und die Zwei-Stellungs-Flügelsicherung blieben erhalten. Die zusätzliche „Pirschschiebesicherung“ entfiel aus Schlankheitsgründen. Der originale Abzug kann wegen des kürzeren Magazins nicht mehr verwendet werden. Roland Kessler benutzt einen ursprünglich für das 98er System der „Kesslerin“ konstruierten Abzug und ändert dafür die Befestigung für das Mannlicher-System. Dieser Abzug wurde speziell für schlanke Waffen entwickelt und ist ein hervorragender Direktabzug. Das Abzugsgewicht der Vorführwaffe lag bei 650 Gramm. Da kommt der originale Mannlicher-Abzug lange nicht mit. Auch das Visier ist eine Neufertigung und besteht aus einer drei Millimeter breiten U-Kimme, die mittels Schwalbenschwanz seitlich in einen auf den Lauf gelöteten Visiersockel eingeschoben ist, und einem 2-mm-Perlkorn. Das Kaliber kann frei gewählt werden, in den Grenzen, die das Magazin fasst, und das bei einer so leichten, kurzen Büchse sinnvoll ist.
Formschön, aber nicht GK-üblich. Hinterschaft mit leichtem Schweinsrücken und bayerischer Doppelfalzbacke.
Typisches GK-Merkmal ist die hinten offene Hülsenbrücke: Die Zwangssteuerung des Kammerstücks führt zum legendär weichen Schlossgang.
Die vorliegende Büchse ist für das Kaliber .243 Winchester eingerichtet. Mit 50 Zentimeter langem Lauf kommt die Büchse auf eine Gesamtlänge von 104 Zentimeter und wiegt 2,9 Kilogramm. Gewiss ginge es noch kürzer, der originale Mannlicher im klassischen Kaliber 6,5 x 54 hatte nur einen 46-cm-Lauf, aber bei einer rasanten Patrone wie der .243 Winchester ist das kaum sinnvoll. Die originale Schaftform zu kopieren, wäre zwar der einfachste Weg gewesen, doch wer Roland Kessler kennt, der weiß, dass er gern eigene Akzente setzt und seinen Waffen dadurch eine besondere Note verleiht. Der recht steil stehende Pistolengriff besitzt eine Hand füllende Wölbung an der rechten Seite und einen Edelholzabschluss. Der schlanke Vorderschaft endet in einer Nase aus Edelholz. Auf halber Länge hat er eine „Krawatte“, wie sie bei frühen Mauser-Stutzen oft zu finden ist. Die Fischhaut an Vorderschaft und Pistolengriff ist fein und sehr scharf. Jede Büchse entsteht aber auf Kundenwunsch, und wer keinen solchen Schaft haben will, bekommt natürlich auch einen typischen Schönauer-Stutzenschaft in der Urform. Auch Linksschäftung und Sonderholz ist machbar. Der vordere Riemenbügel ist in klassischer Stutzen-Manier in U-Form am Vorderschaft befestigt.
Die hier präsentierte Büchse war noch „oben ohne“, denn sie kam gerade (noch unverkauft) aus der Werkstatt. Bei der Montage einer Zieloptik wird sich der Käufer an die alte Mannlicher-Technik halten müssen, denn die hintere Hülsenbrücke ist ja oben offen. Komponenten für klassische Dreifuß-Einhak-Montagen sind weiterhin lieferbar. Alles andere würde zu einer solchen Waffe stilistisch nicht passen (alternativ sind Schwenkmontagen durchaus möglich). Auf eine Überprüfung der Schussleistung über Kimme und Korn wurde verzichtet. Schon Kesslers 98er-Büchsen gelten als hochpräzise. Und die Mannlicher Schönauer-Stutzen waren ebenso für ihre Präzision bekannt.
Individuelle LösungRoland Kessler hat mit dieser Büchse den originalen GKStutzen, was die Eleganz und Führigkeit angeht, noch weit in den Schatten gestellt. Statt einer Serienbüchse entsteht in seiner Werkstatt ein individuelles Einzelstück in erstklassiger Verarbeitung und praxisgerechter Ausstattung. Die technischen Details des alten Mannlichers, die seine Anhänger so schätzen, sind erhalten geblieben. Dabei ist die Büchse noch schlanker geworden und hat einen hervorragenden Abzug bekommen (mit dem lassen sich bei Kessler auch alte GK-Büchsen nachrüsten: ca. 395 €).
Jede Waffe ist ein Unikat. So ist der Preis folglich von den gewählten Details und dem Schaftholz abhängig. Selbstredend können sich GK-Besitzer auch auf Basis ihres bereits vorhandenen Systems bei Kessler eine ansonsten völlig neue Büchse bauen lassen, ohne auf ihren schon sprichwörtlich butterweichen Schlossgang und gewohnte Handhabung verzichten zu müssen.
Der Mannlicher-Kessler-Stutzen. Extrem schlank und unaufdringlich elegant.
Technische Daten
Modell: Kessler-Mannlicher
Kaliber: Alle Standardkaliber möglich
Lauf: Lothar Walther
Lauflänge: 50 cm
Visierung: Standvisier mit U-Kimme, Perlkorn mit Messingauflage, Visiersockel aufgelötet
Verschluss: original Mannlicher Schönauer GKVerschluss mit zwei Warzen und offener Hülsenbrücke
Magazin: Trommelmagazin für 3 Patronen
Abzug: Kessler-Direktabzug
Abzugswiderstand: justierbar; 650 g (Vorführwaffe)
Sicherung: originale Schlagbolzen-Flügelsicherung
Schaft: aus gutem Nussbaumholz, Bayerische Backe mit Doppelfalz, Fischhaut am Pistolengriff und Vorderschaft, Gummischaftkappe
Gewicht: ca. 2,9 kg (Vorführwaffe in .243 Win.)
Gesamtlänge: 104 cmPreis: 6500 € (Vorführwaffe)
Hersteller: Waffen Kessler, Land-Au 6,94469 Deggendorf, Tel. 0991-284842,www.kesslerin.de
Artikel von Reiner Mertens
Fotos und Text aus der "Pirsch 8/2009" Copyright © 2009 Deutscher Landwirtschaftsverlag GmbH